Kernthesen der systemischen Theorie und Therapie

Erkenntnisse sind subjektgebunden und unübertragbar d.h. der Klient ist der Experte für seine Anliegen ("Probleme"), nicht der Therapeut. Diese Annahme wurde aus der Idee der Selbstorganisation abgeleitet, die besagt, daß es ein dynamisches Grundprinzip der Weiterentwicklung von komplexen Systemen aus der ihnen innewohnenden Dynamik heraus gibt. Für die systemische Therapie wurde daraus abgeleitet, daß der Therapeut nicht Kontrolle über das Klienten-System ausüben kann, sondern durch seine Interventionen dessen Selbstorganisations-Fähigkeiten zu fördern bzw. freizusetzen versucht.

Es gibt keine Objektivität. Subjektiv heißt: Bevorzugung bzw. Ablehnung einer Sichtweise als emotional motivierte Entscheidung,

Realität ist subjektiv konstruiert. Der Mensch füngiert als Erfinder und Bewahrer seiner geistigen Welten. Dadurch gibt es viele Realitäten, Multiversa statt Universum.

Begriffe wie "wahr" und "unwahr" greifen in unserer komplexen Welt nicht mehr. Das Wenn-Dann Denken (lineare Erklärungsmuster oder "Kybernetik  1. Ordnung") reicht nicht mehr aus, führt in die Irre und verstellt Lösungsmöglichkeiten. Neu ist nun die

"Kybernetik 2. Ordnung", die in zirkulären d.h. sich gegenseitig beeinflussenden Bahnen denkt.

Der Mensch in einem System bringt genau die Erkenntnisse hervor, die er aufgrund seiner individuellen historisch gewachsenen kognitiven Struktur imstande ist hervorzubringen.

Konstruktivismus: MATURANA (80er Jahre)

1. Der Therapeut ist Mitglied des therapeutischen Systems.

2. Es gibt keinen objektiven Beobachter und keine von ihm unabhängige Realität oder Wahrheit. Es gibt höchstens eine Konsensbildung (aus verschiedenen Blickwinkeln).

3. Verhalten, Symptome und Blickwinkel sind kontextabhängig. Beispiel: Nicht das Kind mit Schulschwierigkeiten steht allein im Mittelpunkt, sondern der Kontext wird erweitert und die ganze Familie wird betrachtet. (Systemische Familientherapie nach SELVINI-PALAZZOLI)

4. Systeme haben die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren (MATURANA: "Autopoiese"), d.h. eine Familie entscheidet selbst, welche Ideen und Hilfsmittel sie aufnehmen und welche Schlußfolgerungen gezogen werden. Hier schließt sich wieder die Erkenntnis an, daß Menschen nicht instruierbar sind.

Alles menschliche Tun findet in Sprache statt. Probleme sind unvereinbare Kommunikationen, die auflösbar sind durch Abbruch der Kommunikationen oder durch Übergang in andere Kommunikationen (WATZLAWICK). Therapie ist ein kommunikativer Prozeß, heißt Reden über etwas. Therapie findet in Sprache statt. Sprache ist aber nichts festes, logisches, sondern Begriffe werden immer neu definiert, denn

Kybernetik: Lehre von den Steuerungsprozessen in Technik, Biologie und Humanwissenschaften.

nicht alle verstehen automatisch das gleiche: Beispiel: Psychoanalytiker benutzen eine andere Sprache als Systemiker, weil andere Annahmen zugrunde gelegt werden.

Systemisch:

 sich auf Systeme konzentrieren

 allgemeine Sichtweise der Welt, die Systeme zur Einheit ihres Denkens macht

 konstruktiv: bezogen auf etwas Neues

 Blickwinkel liegt auf den Ressourcen - positive Suche nach dem Sinn: respektvoll (feststellen, welche Dinge, die Klienten tun, gut, nützlich und wirksam sind)

 Fragen nach den Unterschieden (In einem Bild gibt es nicht nur eine Farbe, sondern auch Kontraste und Facetten)

Ausnahmen sind wichtig; sie beinhalten Lösungsmöglichkeiten

 andere Sichtweisen einnehmen, möglichst viele verschiedene Sichtweisen miteinbeziehen (systemisches Denken heißt gedankliche Flexibilität haben)

 Es geht nicht darum, etwas negatives einfach positiv umzudrehen, sondern darum, einen anderen Aspekt, eine neue Sichtweise positiv hervorzuheben

 Systemische Therapie strebt Autonomie an, indem sie versucht. Verhaltensspielräume zu vermehren und heilsame Verstörungen anzuregen.

 Eine bestätigende Haltung erleichtert es dem Klienten, etwas Neues auszuprobieren

Zentrale Fragen:

 Wie kann ich mich nützlich machen?

 Wobei kann ich behilflich sein?

Therapie: in einem problemrelevanten System so zu intervenieren, daß es sich durch Veränderung bestimmter Strukturelemente aus seinem Stillstand befreien kann, wieder lem-und wandlungsfähig wird, und so seine eigene Problemlösungskompetenz entwickeln kann. Therapie (nach LÜDEWIG) ist Hilfe für autonome Menschen, um mit minimaler Einmischuing optimale Veränderung zu ermöglichen.

Therapie ist nicht die Unterbrechung des Problemmusters, sondern die Konstruktion eines Lösungsmusters/einer Bewältigungsstrategie. Diese Konstruktion ist am leichtesten erreichbar mithilfe der Bausteine aus

a) der Beschreibung des Ziels (Wunderfrage: Orientierung auf eine problemfreie Zukunft)

b) der Ausnahmen zur Beschwerde,

denn diese weisen auf das Lösungspotential hin. Lösungen, die auf die Ausnahmen aufbauen haben den Vorteil, daß sie auf Verhaltenswesen aufbauen, welche sich bereits im Repertoire des Klienten befinden. Probleme sind Teil des interaktiven Kontextes. Nutzen für den Therapeuten haben die von den Klienten besonders hervorgehobenen Elemente wie Ort, Zeit, Modalität, Reihenfolge, beteiligte Personen, denn sie können als Türen für eine Lösung herangezogen werden. Eine Veränderung des Musters in diesem Bereich kann oft am leichtesten zu einer Lösung führen. Die Teile des Systems sind miteinander verbunden. Deshalb reicht die Veränderung eines Teils aus, um Veränderungen im übrigen System auszulösen.

Der Begriff "Krise" hat im chinesischen 2 Bedeutungen: a)gefährliche Situation b)günstige Gelegenheit. Krise heißt, daß bisherige Mechanismen eines Systems zur Selbststeuerung nicht mehr ausreichen Dadurch entsteht die Chance, neue Möglichkeiten zu entwickeln. Akute Symptome werden als Ausdruck einer aktuellen Krise verstanden. Chronische Symptome als dauerhafte Bestandteile einer stabilen Lösung einer früheren Krise.

Probleme sind Lösungsstrategien. Sowohl das Problem als auch dessen Lösung werden als kommunikative Zusammenhänge betrachtet, die im Rahmen sozialer Systeme erzeugt werden. In der Therapie wird mithilfe eines Therapeuten im Zuge kommunikativer Interaktion eine als problematisch definierte belastende Realität durch eine andere weniger belastete Realität ersetzt. Zentraler Blickwinkel sind Lösungskonstruktionen statt dem Erkennen der Ursache des Problems. Dadurch wird die Lösung vom Problem abgekoppelt.